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Uffings bedrohte Prominenz: das Braunkehlchen, Vogel des Jahres 2023

Uffings bedrohte Prominenz: das Braunkehlchen, Vogel des Jahres 2023

Uffings bedrohte Prominenz: das Braunkehlchen, Vogel des Jahres 2023

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Bürger | veröffentlicht am: 25 März 2023 | bearbeitet am: 29 März 2023

Nichts zu lachen: der „Wiesenclown“ am Staffelsee. Oder: Vom Verschwinden einer bayerischen Charakterart

Es ist klein und unscheinbar – und ist doch eine Galionsfigur: das Braunkehlchen, wegen seines hellen Überaugenstreifs im Volksmund auch „Wiesenclown“ genannt. 

Der Singvogel ist eine der Flaggschiffarten des Naturschutzes in Deutschland, auch im Blauen Land. Kurzzeitig zum Medienstar wurde es Ende Oktober 2022 durch seine Kür zum „Vogel des Jahres 2023“. Eine gute Wahl, denn der alarmierende Rückgang der Art und ihrer Lebensräume (Habitate) bedarf dringend größerer öffentlicher Aufmerksamkeit. Noch vor wenigen Jahrzehnten ein Allerweltsvogel, ist das Braunkehlchen heute in Bayern vom Aussterben bedroht, deutschlandweit gilt es als stark gefährdet. Aus der „Normallandschaft“ ist es praktisch verschwunden, nur mehr in geschützten Gebieten hat es einen Rückzugsort gefunden, und selbst dort stabilisieren sich die Bestände nur schwer oder gehen zurück.

Viele Uffingerinnen und Uffinger wird das Wahlergebnis besonders hellhörig gemacht haben, denn die Letzten ihrer Art leben auch vor unserer Haustür, im Naturschutzgebiet am Staffelsee. Der Vogel des Jahres 2023 – eine „Charakterart der traditionellen Streuwiesen in Bayern“ 1 – geht uns damit besonders an. Ab April brütet das Braunkehlchen bei uns und zieht, wenn es gut geht, seinen Nachwuchs groß, ehe sich der Langstreckenzieher im Spätsommer wieder auf den Weg in seine afrikanischen Überwinterungsquartiere macht.

Bestandsentwicklung und Gefährdungen

Bayernweit ist die Zahl der Braunkehlchen innerhalb weniger Jahre massiv zurückgegangen: Wurden 1998 noch 1.170 Brutpaare gezählt, so waren es bei der Wiesenbrüterkartierung von 2014/15 nur noch 455 Brutpaare – ein Rückgang von über 60 %. 2 Die nach Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützte Art wird auf der Roten Liste Bayern inzwischen als vom Aussterben bedroht geführt. Eine Trendumkehr zeichnet sich derzeit nicht ab.

Eine der Hauptursachen für die Bestandsrückgänge ist der Verlust seiner Brutgebiete. Anders als sein populärer Verwandter, das Rotkehlchen, ist das Braunkehlchen weder im Wald noch in Gärten anzutreffen. Als Wiesenbrüter gehört es vielmehr zu den sogenannten Offenlandarten. Es ist ein Bewohner der extensiv bewirtschafteten offenen, zugleich strukturreichen Kulturlandschaft, mit Weiden und Feuchtwiesen, Brachen und Randstreifen.

Zusammen mit anderen Wiesenbrütern wie dem Kiebitz zählt das Braunkehlchen damit zu den größten Verlierern unseres Umgangs mit Flächen, denn gerade dieser Lebensraumtyp ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zurückgedrängt worden. Bebauungen und Intensivierung der Landwirtschaft trugen maßgeblich dazu bei. Bei intensiver Bewirtschaftung mit frühen und häufigen Mahden haben Wiesenbrüter kaum eine Chance für Brut und Jungenaufzucht; zudem fehlen dem Braunkehlchen in einer ausgeräumten Agrarlandschaft Strukturelemente wie Brachen, Raine und Stauden als Sing- und Ansitzwarten.

Gefahr droht aber auch von der entgegengesetzten Seite, durch Nutzungsaufgabe. Wenn Wiesen nicht mehr gemäht werden, verbuschen sie, Sträucher und Bäume breiten sich aus – ein Prozess, der durch den vermehrten Stickstoffeintrag aus der Luft in den letzten Jahren noch beschleunigt wird. Mit dieser sogenannten Gehölzsukzession kommen Offenlandarten wie Braunkehlchen und Kiebitz nicht zurecht, die Kulissenwirkung schlägt sie in die Flucht.

Andere Vogelarten sind anpassungsfähig und können unterschiedlichste Lebensräume besiedeln. Braunkehlchen haben diesen Ausweg nicht, da ihre Toleranzspielräume sehr begrenzt sind.

Weitere Faktoren machen dem Braunkehlchen zu schaffen: Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels wie Starkregen, durch den die Jungen in ihren Bodennestern ertrinken; fehlendes Nahrungsangebot durch den zunehmenden Insektenmangel; natürliche Fressfeinde (Prädatoren) wie der Fuchs und verwilderte Hauskatzen. Nicht zuletzt der enorm gestiegene Freizeitbetrieb gerade in Naturschutzgebieten wie dem am Staffelsee setzen der äußerst störungsempfindlichen Art zu. Erholungssuchende abseits der Wege und freilaufende Hunde machen Bruterfolge zunichte, weil brütende Braunkehlchen in Panik ihre Gelege verlassen. Für weitere Brutversuche bleibt kaum Zeit, da das Braunkehlchen als Langstreckenzieher spät in seinen Brutgebieten ankommt und früh wieder abzieht – Kurzstreckenzieher wie sein naher Verwandter, das Schwarzkehlchen, sind da im Vorteil.

Gefahren während des Zuges scheinen hingegen, anders als bei anderen Zugvögeln, nur eine untergeordnete Rolle für die Bestandseinbrüche zu spielen.

Was kümmert uns das Braunkehlchen?

Aufwendige Schutzmaßnahmen für unauffällige Arten, die womöglich noch drollige Namen tragen, von denen man nie gehört hat, sorgen oft für Spott und Unverständnis. Was macht es schon, wenn Kleines Mausohr, Grüner Zipfelfalter oder Gewöhnliche Brillenschote aus unserer Fauna und Flora verschwinden? Wozu der Aufwand für Fischtreppen, Haselmaus-Brücken und Gelege-Schutzzäune? Und warum sollen wir uns ausgerechnet um das Braunkehlchen kümmern – auf einen kleinen braunen Vogel mehr oder weniger kommt’s ja wohl nicht an? Weshalb also Braunkehlchen-Schutz?

Ein zentrales Argument ist, dass es – wie im heutigen Artenschutz generell – um weit mehr geht als „nur“ diese eine bestimmte Art: um den Schutz ganzer Ökosysteme, Lebensgemeinschaften und Artengruppen, für die das Braunkehlchen stellvertretend steht.

Das Braunkehlchen gilt als typische Schirmart, weil sein Schutz zugleich einen Schutzschirm für zahlreiche andere bedrohte Arten mit ähnlichen Habitatansprüchen bietet. Als sogenannte Indikatorart reagiert es zudem besonders sensibel auf Veränderungen und gibt damit Hinweise auf den ökologischen Zustand eines Gebiets insgesamt: Wo es dem Braunkehlchen gut geht, fühlen sich andere typische Wiesenbewohner ebenfalls wohl; bleibt es weg, ist dies ein Hinweis, dass der Lebensraum nicht mehr intakt ist. Eigenschaften wie diese machen es zugleich zur idealen Zielart, an deren Zukunftssicherung sich Pflege- und Entwicklungspläne für bestimmte Gebiete ausrichten. Dies bietet zugleich Entscheidungshilfen, wenn es zu Zielkonflikten innerhalb des Arten- und Biotopschutzes kommt

Forschung, Maßnahmen, Ziele – in der Region und darüber hinaus

Das Obernacher Moos am Staffelsee, das Murnauer Moos oder die Loisach-Kochel­see-Moore sind wichtige Braunkehlchen-Refugien. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Streuwiesen, also Wiesen, die der Gewinnung von Einstreu fürs Vieh dienen („Strah“). Sie werden nicht gedüngt und nur einmal spät im Jahr gemäht und zählen damit zu den „Hotspots der Biodiversität“ in unseren Breiten – Manche sehen darin das mitteleuropäische Pendant zu den Regenwäldern Südamerikas. Heute werden sie meist im Rahmen landwirtschaftlicher Förderprogramme wie dem sogenannten Vertragsnaturschutz bewirtschaftet.

Doch selbst solche Vertragsnaturschutzflächen weisen oft keine Habitatstrukturen mehr auf, wie sie u. a. das Braunkehlchen benötigt. Durch das Stehenlassen von Brachestreifen versucht man inzwischen, Abhilfe zu schaffen, und hat damit in der Staffelseeregion bereits gute Erfahrungen gemacht. Allerdings sind auch solche scheinbar einfachen Lösungen manchmal leichter gesagt als getan: etwa wenn Landwirte jeden Halm zur Einstreu benötigen, bürokratische Komplikationen drohen oder weil für die vermeintliche „Unordnung“ auf den Wiesen erst Akzeptanz geschaffen werden muss.

Das Braunkehlchen ist Gegenstand intensiver Forschungen und zahlreicher Monitoringprogramme (u. a. im Murnauer Moos). Die Ergebnisse der Untersuchungen sind unverändert ernüchternd, die Appelle eindringlich, die Forderungen und Empfehlungen klar: Dazu gehören insbesondere Erhalt und Wiederherstellung von artenreichem Extensivgrünland in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft, flankiert von attraktiven Förderprogrammen, damit sich die Maßnahmen für die Landnutzer wirtschaftlich lohnen. 3

Einig ist man sich auch, dass man „größer denken“ müsse: 4 Es könne keine befriedigende Lösung sein, das Braunkehlchen in betreuungsintensive Reservate zu verbannen und sich in Fachsimpeleien über die Beschaffenheit künstlicher Sitzwarten zu verlieren. Ziel müsse es vielmehr sein, das Braunkehlchen wieder zurück in die Fläche zu bringen. Es brauche mehr Anreize, auch Agrarland der sogenannten Normallandschaft so zu gestalten, dass einst selbstverständliche Agrarvögel wie Braunkehlchen, Kiebitz, Feldlerche, Rebhuhn … dort wieder leben können. Ein wichtiger Schritt wäre das Belassen von kleinen Brachflächen und von Randstrukturen wie Wegrainen oder Uferrandstreifen. Von solchen mosaikartigen Strukturen und Korridoren, die Trittsteine bilden und Biotope vernetzen, würden zahllose andere Arten ebenfalls profitieren.

Globales und Lokales

Der rapide Verlust an biologischer Vielfalt ist die zweite menschengemachte ökologische Krise globalen Ausmaßes neben der Erderwärmung. Wo immer mehr Arten und ihre Lebensräume verschwinden, geraten irgendwann ganze Ökosysteme aus den Fugen, der Funktionshaushalt der Natur bricht zusammen und damit auch unsere Lebensgrundlagen. In der medialen Aufmerksamkeit steht das weltweite Artensterben nach wie vor im Schatten anderer Katastrophen. In den derzeit beliebten Krisen-Aufzählungen (Klimawandel, Pandemie, Energiekrise, Inflation …) wird es meist nicht einmal erwähnt. Es bleibt zu hoffen, dass die 15. Weltnaturschutzkonferenz, die im Dezember 2022 im kanadischen Montreal stattfand, hier ein Umdenken in Gang gesetzt hat.

Die Herausforderungen sind erdrückend und nur global zu bewältigen. Trotzdem gibt es Vieles, was wir vor Ort und in unserem alltäglichen Handeln unmittelbar in der Hand haben. Das beginnt beim Freizeitverhalten in der Natur, zumal in Naturschutzgebieten: Hier hat der Schutz der Natur oberste Priorität und unser Verhalten hat direkte Auswirkungen, im Guten wie im Schlechten.

Daher die Bitte: Nehmen Sie die Regeln in unserem Naturschutzgebiet am Staffelsee wie auch andernorts ernst. Es sind nur wenige, und sie sind leicht zu befolgen. Für uns Besucherinnen und Besucher bedeuten sie eine minimale Einschränkung – für bedrohte Arten wie das Braunkehlchen sind sie existenziell. Danke für Ihre Mithilfe!

Ohne das Braunkehlchen wären wir und unsere Nachkommen ärmer: um einen alteingesessenen Bewohner der Uffinger Flur und einen liebenswerten bayerischen Charaktervogel.

Regina Wenninger
für die Uffinger Naturschutzwacht

1 https://www.anl.bayern.de/fachinformationen/wiesenbrueterberater/index.htm (Zugriff 21.12.2022).
2 https://www.lfu.bayern.de/natur/sap/arteninformationen/steckbrief/zeige?stbname=Saxicola+rubetra; https://www.anl.bayern.de/fachinformationen/wiesenbrueterberater/index.htm
(Zugriff 21.12.2022).
3 Vgl. Europäische Braunkehlchen-Resolution 2015, abrufbar unter https://www.lbv.de/naturschutz/artenschutz/voegel/braunkehlchen/ (Zugriff 21.12.2022).
4 Martin Küblbeck/Jürgen Feulner: „Müssen wir nicht größer denken?“ Nachgedanken zum 2. Braunkehlchen-Symposium. In: Ornithologischer Anzeiger 60/1 (Juni 2021), S. 103–110.

(veröffentlicht in Hoagart 07 | April 2023, siehe unten, Seite 49)

 

April 2023

ClimateID Tracking (Umwelt-Zertifikat Hoagart)

 

Uffings bedrohte Prominenz: das Braunkehlchen, Vogel des Jahres 2023

Redaktion (ehrenamtlich)
Sascha Chowdhury (Redaktion Hoagart)
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