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Uffing und seine Natur

Uffing und seine Natur

Uffing und seine Natur

Information
Bürger | veröffentlicht am: 25 März 2023 | bearbeitet am: 29 März 2023

Inhalt des folgenden Beitrags sind Gedanken zum Erleben der „Natur“, die Menschen nach Uffing wie auch allgemein ins Voralpenland zieht. Nicht wenige Menschen, die in den letzten Jahrzehnten nach Uffing zugezogen sind, geben an, dass die „Natur“ ein gewichtiger, wenn nicht gar der ausschlaggebende Grund gewesen sei. 

Wenig und teurer Wohnraum sind Hemmnisse. Wer nach Uffing zur „Sommerfrische“ oder als Tagesausflügler kommt, tut das meist wegen der „Natur“.

Die Landschaft

Die Rede hier ist von der „Natur“ in der Bedeutung vom Erleben der Landschaft. Das lateinische „natura“ bezieht sich auf schöpferisches Geschehen. Der Inhalt, der in den Begriff gelegt wird, ist komplex, abhängig vom Zusammenhang.

Die Vielfalt der Voralpenlandschaft spricht viele Menschen an. Ursache ist vielleicht eine Entsprechung zwischen harmonischer psychischer Verfassung und Regelmäßigkeiten in den Erscheinungen der „Natur“. Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) beschrieb die Natur als einen Zusammenhang nach Regeln, einer Struktur ohne Regellosigkeit. Ergänzend lässt sich feststellen: Auch was uns als zufällig erscheinen mag, folgt in den makroskopisch betrachtenden Geo-Wissenschaften dem Prinzip von Ursache und Wirkung.

Scheinbar zufällig und doch nach Regeln der Physik und Chemie, hat die letzte Eiszeit (Würm-Kaltzeit, letzter Höhepunkt vor 25000, Ende vor 12000 Jahren) die voralpine Landschaft geprägt. Wir finden Moränen, Toteisweiher, Niedermoore (Moose) und Hochmoore (Filze). Heraus ragen die von Molasse (Erosionsschutt der aufsteigenden Alpen) aufgebauten Rücken (Sonnenstein, Galveigen, Riegel südlich vom Staffelsee). Im Süden schließt die Wand der Alpen das Bild ab.

Weil uns so gewohnt, gehören zu dieser Landschaft Dörfer und Weiler mit traditioneller, dem Klima angepasster Architektur: Wohnhaus, anschließend Stall und darüber die Tenne, alles unter einem Giebeldach. Hausbank, von Blumen geschmückte Fenster und Balkone, Lüftl-Malerei, Garten und Obstbäume tun auch dem Auge gut. Kirche oder Kapelle, oft auch Wirtshaus mit Biergarten, prägen die Orte. Viehweiden, Gruppen von Laubbäumen und Nadelholzwälder wechseln einander ab und vermitteln Eindruck und Empfindung einer anregenden und zugleich wohltuenden Spannung beim Betrachter.

Einige Orte, wie eben gerade auch Uffing, verdanken der Eiszeit einen See. Der Siedlungskern von Uffing lag abseits vom Staffelsee. Über die Geländeschwelle zwischen Molasse-Höhen erfährt das Wasser der Ach eine von Mühlen nutzbare Beschleunigung. Zugleich liegen die Häuser windgeschützt. Die Uffinger, wenn sie sich im Hochsommer abkühlten, gingen an die Ach und wohl kaum zum See. Denn die Arbeit in der wenig mechanisierten Landwirtschaft und im Handwerk war hart, der Weg zum See zu Fuß zusätzlich anstrengend und zeitraubend. Die Fischerei im Staffelsee üben bis heute die Seehausener aus. Die Aussicht über den See genießen und sich am und im Wasser tummeln, das leisteten sich die Feriengäste.

Doch nicht jedermann kann der Landschaft vor den Alpen etwas abgewinnen. Das mag zu tun haben mit dem Vertrauten aus der Kindheit. Leute aus der nördlichen Tiefebene vermissen den weiten Himmel und die Kiefer- oder Heidewälder. Menschen aus den Alpen vermissen die greifbaren und vor Wind schützenden Berge und die Almen. Wer in Uffing aufgewachsen ist, erlebt die Uffinger Landschaft als ideal, fasst enge Täler als beklemmend und weite Ebenen als monoton auf.

Was ist „Natur“?

Die beschriebenen Dörfer sind nicht „Natur“. Sie sind aber vom Menschen geschaffene und meist aus Erfahrungswissen mehr oder weniger gut gelungene Anpassungen an die (unbelebte) Natur. Wären sie von dichten, ungepflegten Nadelwäldern umgeben, wären diese zwar natürlich, ergäben aber ein eher finsteres und die Sicht beschränkendes Landschaftsbild. Es ist die Kulturlandschaft mit gemähten oder abgeweideten Wiesen und den gepflegten Wäldern, welche als „lieblich“ und „abwechslungsreich“ geschätzt wird, die auf die Menschen anziehend wirkt.

Die heimische Viehhaltung, durch die sich Gras in Milch und Käse verwandeln lässt, ist ein entscheidender Grund für diese einst in mühevoller Muskelarbeit gerodete Kulturlandschaft. Ohne ihre Nutzung heute würde sie schnell verbuschen. Weder die Landschaft, nicht einmal die „Rindviecher“ als gezüchtete Haustiere, sind „reine“ Natur.

Auch die Menschen mit ihren Hilfsmitteln, Ansprüchen und Gewohnheiten der „Zivilisation“ sind keine „Kinder der Natur“ wie vielleicht noch bis um 1950 isolierte Gruppen in den Bergen von Neuguinea. Wie würden heutige Menschen, im Unkundenwald ausgesetzt und ganz auf sich selbst gestellt, zurechtkommen, wenn sie auf essbare Blätter, Beeren, Wurzeln und Insekten sowie nachts auf Laubhütten oder Erdhöhlen angewiesen wären? Der Vogel, der sich auch von Brosamen der Ausflügler ernährt, der Baum, der sich in der lichten Umgebung einer freien und gedüngten Wiese entfaltet und nicht um das Licht in einem engen Bestand ringt, leben auch nicht so ganz natürlich. Schon gar nicht tut es der Mensch, dessen Blut unfreiwillig Plastikstaub enthält.

Was also ist „Natur“? Auch wenn wir vom Menschen, seinem Tun und auch den Haustieren absehen, es gibt „Störungen“ in der Natur selbst, welche eine natürliche Entfaltung behindern. Man denke an Pilzbefall der Pflanzen, Borkenkäfer, Windbruch und Blitzschlag im Wald. Es lässt sich erwarten, dass Pflanzen und Tiere sich anpassen, in den Beständen schwankend, einem immer veränderlichen und deshalb nie erreichten (ökologischen) Gleichgewicht zustreben. Der Mensch, der die Kulturlandschaft erhält oder nicht, Wald rodet oder aufforstet, Land unter Asphalt oder Beton legt, ist gestaltender Teilnehmer an diesen Prozessen. Darum gehört auch er in unserem Zusammengang zur Natur und unterliegt auch ihren Gesetzmäßigkeiten.

Kein Zustand in den Prozessabläufen hält sich konstant. Weder sind das Klima und die Böden konstant, noch sind es Populationen von Menschen und ihr Handeln, auch nicht die Bestände von Tieren und Pflanzen. Die Entwicklung des Klimas im Voralpenland begünstigt Laub- vor Nadelbäumen. Der Anbau von Futtermais, auch am Alpenrand, ist eine neue Erscheinung. Das Ausbringen von Gülle wurde beschränkt, die Nährstoffzufuhr (Eutrophierung) des Staffelsees hat auf niedriges Niveau abgenommen. Zunehmend mehr der verbliebenen Landwirte wirtschaften „biologisch“.
Lebten zukünftig mehr Menschen „vegetarisch“ oder „vegan“, könnte das die Viehhaltung vermindern und die Kulturlandschaft verändern. Auf marginalen Böden wären Bauern nicht mehr primär Produzenten von Lebensmitteln, sondern wirtschafteten als Landschaftspfleger, über Photovoltaik oder ölreiche Pflanzen als Energiewirte.

Erholung in der Natur

Die Landschaft mit den Menschen befindet sich in einem ständig sich ändernden Prozess der Anpassung. Sie wäre, nach dem letzten Abschnitt, „die Natur“. Eine Industrielandschaft oder das Zentrum einer Siedlung würde kaum jemand als „Natur“ ansehen, weil hier Einrichtungen des Menschen nach seinem Willen räumlich geballt und dominierend auftreten. Zu unterscheiden wäre die Landschaft mit dem Menschen von der Landschaft oder Natur um den Menschen.

Die Zeit, welche Menschen freiwillig am Bildschirm verbringen statt in der sie umgebenden Natur, bedeutet eine Distanzierung von ihr. Zugleich mit dem zunehmenden Verlust naher Beziehung zu dieser Natur baut sich aber auch psychisch und körperlich ein Verlangen nach ihr auf. Fuß- oder Radwandern um Uffing oder Bergsteigen anderswo, Schwimmen und Rudern angesichts der Landschaft, bedeuten Naturerleben und psychisch wie physisch Erholung. Die relative Geordnetheit der umgebenden Natur wirkt, meist unbewusst, „ordnend“ auf die interne Natur des Menschen. Das Bild der Landschaft, aufgenommen vom erlebenden Menschen, wirkt als der stärkere Normsender.

Es sind nicht nur einzelne Komponenten in der Landschaft, sondern es ist die Summe der Eindrücke, welche das Erleben ausmachen: Dazu zählen auch die Farben und Formen einer Blumenwiese, das Summen von Insekten, das Hautgefühl eines lauen Windes oder im Winter das Beißen von Treibschnee im scharfen Wind. Es gilt nach meiner Überzeugung, dass der Gesamteindruck ein Mehr ist als die einzelnen analysierbaren Teile. Das Erleben von Natur setzt nicht voraus, ihre Erscheinungen aus ihrer Regelmäßigkeit heraus (siehe Kant) zu verstehen oder intellektuell erklären zu können. Die Gesetzmäßigkeiten zu kennen, kann aber das Erleben bewusster machen, auch im Verhalten des Menschen zu der ihn umgebenden Natur ihre Voraussetzungen beachten lassen. Viel Frevel an der Natur geschieht aus Unwissenheit.

Das Erleben dürfte individuell verschieden sein. Physikalisch lässt sich festlegen, welche Wellenlängen reflektierten Lichtes das Blau einer Blume ergeben, unterschieden vom Rot. Auch verschiedene Betrachter geben in der Regel an, die gleichen Farben zu sehen. Alle Lokomotivführer müssen rot als rot, grün als grün auffassen. Ob sie aber alle exakt identische Farbeindrücke erleben, dürfte zweifelhaft sein. Die Landschaft und damit die umgebende Natur insgesamt wird wohl individuell erlebt.

In Uffing zu leben ist ein Privilegium und zugleich Verpflichtung. Sie besteht darin, Besuchern das Kommen und Erleben zu ermöglichen, zugleich aber auch darauf zu achten, dass die „Natur“ im alles umfassenden Sinn als anziehend und erholsam erhalten bleibt. Das gilt für die Streuwiesen als wichtiges Zeugnis der Kulturlandschaft bis hin zum Erhalt des aus den Gegebenheiten der Natur und Bedürfnissen der Menschen historisch gewachsenen Ortsbildes. Es gehört aber auch zum Naturschutz, den Menschen, denen in einer urbanen Umgebung das Bewusstsein für die Zusammenhänge der Naturerscheinungen wenig geläufig ist, durch Anleitung und Aufklärung behilflich zu sein.

Reinhard Mook

(veröffentlicht in Hoagart 07 | April 2023, siehe unten, Seite 46)

 

April 2023

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Redaktion (ehrenamtlich)
Sascha Chowdhury (Redaktion Hoagart)
Redaktionsteam: Sascha Chowdhury (Redaktionsleitung, Bürger, Gewerbe, Kommune), Franz Huber (Kunst und Kultur), Reinhard Mook (Natur und Philosophie)

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