Am 27. September 2024, nach dem von H. H. Pfarrer Thomas Renftle in St. Anna zelebrierten und vom Schöffauer Kirchenchor unter Leitung von Monika Wehrsdorf umrahmten Gottesdienst, fand im vollbesetzten Saal des Gasthof Lieberwirth auf Einladung der Gemeinde Uffing ein Festabend mit vielen Ehrengästen statt.
Vorgestellt wurde der vom ZeMuLi (Zentrum für Volksmusik, Literatur & Popularmusik) bearbeitete, historische Notenbestand aus der zweiten Hälfte des 19. und vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Jakob Schwaller vom „Föst“ war in dieser Zeit Leiter des Kirchenchors und der Musikkapelle Schöffau, der die Musikstücke und eigene Kompositionen in zeitlich nicht einzuschätzender Arbeit für die von ihm betreuten Klangkörper zu Papier brachte. Aus seinem Nachlass stammen die Noten, die all die Jahrzehnte von der Familie Schwaller aufbewahrt und jetzt wieder entdeckt wurden. Auf Initiative vom Schöffauer Ortschronisten Sebastian Mayr sen. stiftete die Familie Schwaller den gesamten Notenfund der Gemeinde Uffing, der zur Aufarbeitung und sicheren Archivierung an das ZeMuLi in Bruckmühl gegeben wurde.
Nach Begrüßung und Einführung durch Herrn Bürgermeister Andreas Weiß sprach die Leiterin des ZeMuLi, Frau Dr. Katharina Baur, über die Wichtigkeit der Sicherstellung und Archivierung solcher Funde sowie die Freude in ihrem Haus, dies bearbeiten zu dürfen.
Herr Landrat Anton Speer brachte in seinem Grußwort den Stolz und die Freude zum Ausdruck über den Fund und die in seinem Landkreis herrschende, musikalische Kultur.
Um den Inhalt und die Bedeutung des Fundes dem Leser näherzubringen, nachfolgend die Rede von Ina Rupprecht vom Archiv des ZeMuLi:
„Sehr geehrte Damen und Herren, im Namen der Archivleitung darf ich mich herzlich bedanken für die Überlassung des Notenschatzes aus dem Nachlass von Jakob Schwaller. Bei einer groben Sichtung und Auflistung der Noten und Einzelstimmen konnte bereits festgestellt werden, dass die Noten ein spannendes Fenster in die musikalischen Unternehmungen und Interessen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts öffnen. Insgesamt konnten ca. 200 Stimmkonvolute ausgemacht werden. Lassen Sie sich jedoch nicht irreführen, es sind mitnichten 200 vollständige Stimmsätze der Kapelle erhalten. Viele der Stimmsätze sind unvollständig, insbesondere die Melodiestimmen sind rar und zu manchen Stücken finden sich gar nur einzelne Blätter einer Stimme oder eines Stückes.
Was kann uns dieser Notennachlass also über die Kapelle erzählen?
Fast alle Notenkonvolute weisen starke Gebrauchsspuren und teilweise Beschädigungen auf. Das heißt, sie wurden viel herumgereicht und genutzt. Die im Archiv vorgenommene Einteilung in Konvolute war möglich durch den Abgleich von sowohl Inhalt als auch Erscheinungsbild. Inhaltlich lassen sich viele Überschneidungen zwischen den Konvoluten feststellen, sodass häufig die Unterschiede des grafischen Erscheinungsbildes sowie die Nummerierung der Stücke ausschlaggebend waren in der Zuordnung. Die große Mehrheit der Noten ist für Blasinstrumente, häufig ist das designierte Instrument auf dem Umschlag des Noten heftes vermerkt, in vielen Fällen muss eine klare Zuordnung allerdings ausbleiben, da keine Angaben vorhanden sind. Auch Noten für Orgel, Gesang und gemischte Besetzung finden sich im Material der Kapelle. Gespielt wurde sowohl geistliche als auch weltliche Musik, wobei weltliche Musik klar überwiegt. Der Anteil an Märschen militärischer Zuordnung ist verhältnismäßig hoch, ein Anzeichen für die engen Überschneidungen von Militärmusik und ziviler Kapelle. Viele der Stücke bedürfen einer weiteren Untersuchung, denn sie sind lediglich betitelt mit ‚Marsch‘ oder ‚Polka‘ oder ‚Walzer‘. Kongruenzen mit dem Repertoire anderer Kapellen werden daher erst mit der Zeit bei genauerer Analyse entdeckt werden können. Allerdings bieten auch die vermeintlich eindeutig betitelten Stücke Raum für weitere Forschung. Denn aufgrund der häufig unvollständigen Stimmsätze bedarf es eines zweiten und dritten Blickes, um zu eruieren, ob z. B der ‚Hydropathen-Walzer‘ von Josef Gung’l in verschiedenen Bearbeitungen vorliegt oder mehrfach in der gleichen.
Bei vielen der eindeutig betitelten Stücke bedarf es zusätzlich einer Kenntnis der Musikliteratur und beliebten Stücke ab ca. 1840, um die Kompositionen auch den Komponisten zuweisen zu können. Denn bei den allermeisten Stücken, die ohne Komponistenangabe vorhanden sind, lässt sich der Komponist mit etwas Recherche klar feststellen. Josef Gung’l, Johann Döbereiner und Carl Hünn sind genauso vertreten wie die Komponisten Johann Strauss, Carl Maria von Weber, Ludwig van Beethoven oder Otto Nicolai. Damit lässt sich selbst bei oberflächlicher Begutachtung bereits erkennen, wie breit aufgestellt die Kapelle war und dass sie ihren Zuhörern und Zuhörerinnen ein zeitgenössisches, modernes Programm präsentieren konnte, das sich nicht unbedingt vom Programm großer Kurkapellen oder sogar ausländischer Militärkapellen, wie z. B. in Kristiansand (Norwegen), unterschied.
Dennoch bietet die Vielzahl der Stücke mit Regionalbezug zu Schöffau und Umland einen Anker für die Verortung der Kapelle. Hier wären zu nennen zum Beispiel der ‚Tölzer Bahneröffnungsmarsch‘, ‚Alpenglück‘, ‚Senner und Sennerin‘, ‚Gruss aus Tegernsee‘, ‚Bayerische Nationalhymne‘, ‚Staffelseer‘, ‚Mein Tirol‘, ‚Gruss an Österreich‘ oder der ‚Gruss an Schöffau‘.
Darüber hinaus waren Standardwerke wie die ‚Wacht am Rhein‘, der ‚Badenweiler‘-Marsch, ‚Ich hatt einen Kameraden‘, ‚Deutschland über alles‘, ‚Mein Bayerland mein Heimatland‘ und das nationalsozialistische ‚Horst-Wessel-Lied‘ Teil des Repertoires. Hieran kann man sowohl Kontinuität als auch Veränderung bei Repertoire und Publikumsgeschmack ablesen: von militärischen und nationalistischen Werken bis hin zur NSDAP-Parteihymne bzw. zum SA-Kampflied. Um dazu allerdings weitere Aussagen treffen zu können, bedarf es einer tieferen Erschließung und wissenschaftlichen Auseinandersetzung sowohl mit dem Notennachlass an sich als auch der Geschichte der Kapelle Schöffau.
Mit der Aufnahme der Noten ins Archiv des ZeMuLi und der unter konservatorischen Gesichtspunkten guten Lagerung kann eine solche Auseinandersetzung ermöglicht werden. Nach der gründlichen Erschließung und Wiedereröffnung des Archivs im Anschluss an die Generalsanierung kann die interessierte Öffentlichkeit die Noten einsehen, den eben aufgeworfenen Beobachtungen vertiefend nachgehen und sich mit eigenen Fragestellungen mit dem Material befassen: seien es ein musikwissenschaftliches, ein heimatpflegerisches oder ortschronistisches Interesse oder auch ein musikalisch-praktischer Ansatz. Sobald die Noten archivisch erschlossen und in unsere neue Datenbank eingepflegt sind und vor allem unsere Generalsanierung abgeschlossen ist, freuen wir uns über zahlreiche Einsichtnahmen in den Notenbestand aus Schöffau, damit nicht nur die aktuelle Kapelle Schöffau von den neu geschaffenen Notensätzen profitiert, sondern auch die breite Masse einen Eindruck der damals gespielten Stücke und Stimmsätze gewinnen kann.
Da unser Volksmusikpfleger Leonhard Meixner krankheitsbedingt heute leider nicht dabei sein kann, darf ich auch noch ein paar Worte zu den bearbeiteten Stücken aus dem Nachlass sagen, die heute erklingen: Die Auswahl der Stücke erfolgte in Abstimmung mit dem Archiv unter Berücksichtigung mehrerer Kriterien: Zum einen sollte ein möglichst direkter regionaler Bezug zu Schöffau gegeben sein und zum anderen sollten die Stimmsätze nach Möglichkeit vollständig sein, um bei der Bearbeitung einen möglichst guten Blick auf den originalen Klang zu bekommen.
Die Wahl fiel auf die Stücke ‚Gruss an Staffelsee‘, ‚Gruss an Schöffau‘, ‚Schöffauer Schützenmarsch‘, ‚Tölzer Bahneröffnungsmarsch‘, ‚Schöffauer Tal Marsch‘ und ‚Bayerland, mein Vaterland‘. Diese liegen im Nachlass in der um 1900 gängigen 9-stimmigen Blechmusikbesetzung bestehend aus hoher Trompete, Flügelhorn, zwei Es-Trompeten, zwei Basstrompeten, Posaune und Bombardon vor. Einige der Einzelstimmen bzw. Stimmhefte fehlen im Nachlass und mussten daher bei der Bearbeitung für aktuelle Besetzungen rekonstruiert werden. Um ein für die Praxis heutiger Blasmusikbearbeitung stimmiges Bild zu erreichen, war es überdies notwendig, die Stimmaufteilung sowie Begleitung zu bearbeiten.
Im Ergebnis liegen nun der ‚Gruss an Staffelsee‘, ‚Gruss an Schöffau‘ und ‚Schöffauer Schützenmarsch‘ als Bearbeitung für dörfliche Blasmusik mit der Besetzung Klarinette in Es, zwei Klarinetten in B, Flöte in C, zwei Flügelhörner in B, zwei Trompeten in B, Tenorhorn in B, Bariton in B und C, sowie Begleitstimmen in C, B und Es, Bässe in C und Schlagzeug vor. Zusätzlich wurden der ‚Gruss an Schöffau‘ und der ‚Tölzer Bahneröffnungsmarsch‘ für eine heute übliche Tanzlmusikbesetzung mit zwei Flügelhörnern, Basstrompete, Akkordeon oder anderer Begleitung und Tuba hergerichtet. Zukünftig folgen noch Bearbeitungen des ‚Schöffauer Tal Marsch‘ und ‚Bayerland, mein Vaterland‘. Die Volksmusikpflege freut sich, mit der Bearbeitung dieser Stücke einen Beitrag zur Erhaltung der regionalen Musiktradition in Uffing bzw. Schöffau leisten zu können.
In diesem Sinne noch einmal vielen Dank für das Vertrauen in Archiv und Volksmusikpflege des ZeMuLi, die Noten für die interessierte Öffentlichkeit zu bewahren und zugänglich zu machen und so einen Pfeiler für das Musikleben in Uffing und Schöffau in die Karte des kulturellen Gedächtnisses Oberbayerns einzuschlagen.“
(Ende der Rede)
Die Musikkapelle Schöffau unter Leitung von Flori Schmid umrahmte musikalisch den Festabend mit den vom ZeMuLi aus dem Fund bearbeiteten und im vorstehenden Redetext genannten Kompositionen.
Es wurde auch ein vom Bayerischen Rundfunk Anfang der 1990er Jahre in Schöffau produzierter Film über Volksmusik gezeigt, bei dem die Uffinger Sängerinnen und der damalige Volksmusikpfleger des Bezirks Oberbayern Wolfgang Scheck mitwirkten.
Zum Schluss des Festabends stand eine besondere Ehrung an: Bürgermeister Andreas Weiß verlieh im Beisein der 3. Bürgermeisterin Michaela Mück Herrn Sebastian Mayr sen. für seine seit 1990 ehrenamtlich geleisteten Verdienste um die Ortsgeschichte Schöffaus den „Silbernen Ehrentaler“ der Gemeinde Uffing a. Staffelsee, der nur an bis zu zehn lebende Personen vergeben werden kann.
Abschließend bedankt sich Bürgermeister Weiß bei allen, die zum Gelingen dieses Festabends beigetragen haben.
Franz Huber
(veröffentlicht in Hoagart 14 | Januar 2025, siehe unten, Seite 8)
Was denken Sie?
Schreiben Sie an die Redaktion!
Hinweis: Nach dem Absenden Ihres Kommentars erscheint hier eine kurze Versandmitteilung.