Im Jahre 1957 hielt sich der Dekan und Professor der Philosophie an der Universität Delhi (Indien) Nikunja Vihari Banerjee in Uffing, Sonnenstein-Str. 14, auf.
Banerjee hatte in Freiburg im Breisgau zusammen mit dem bekannten deutschen Philosophen Professor Martin Heidegger und anderen ein Seminar und öffentliche Vorträge abgehalten. Dort wurde das Ehepaar Rut und Klaus Bahlsen von Banerjee so sehr angeregt, dass es ihn zu einem längeren Aufenthalt nach Uffing einlud.
Die Personen
Banerjee (26.09.1897 bis 31.03.1982), am Sonnenstein einfach Nikunja genannt, war damals schon von fachlichen und staatlichen Organisationen in verschiedene Länder eingeladen worden, unter anderem 1955 nach China. Zum zweiten Mal arbeitend in Uffing im September 1969, als er an den Universitäten in Mainz und Wien vorlas. Er hatte 1932 an der Universität London mit einer Arbeit über das Selbst in der Philosophie des berühmten Königsberger Immanuel Kant (22.04.1724 bis 12.02.1804) promoviert. Als Dekan in Delhi von 1957 bis 1959 hat er dort Institute für Psychologie und Buddhistische Studien einrichten lassen.
Rut (16.09.1901 bis 13.03.1988) und Klaus Bahlsen (23.04.1908 bis 15.12.1991) waren keine Fach-Philosophen. Sie hinterfragten aber leidenschaftlich die letzten Gründe des Seins. Nikunja war in seiner Philosophie ausgerichtet auf Metaphysik, dem, was jenseits der mit den Sinnen erfahrbaren Welt liegt.
Rut (geb. Jägerström) hatte nach dem Ersten Weltkrieg in Wien begonnen Philosophie zu studieren. Enttäuscht von der Beziehungslosigkeit des Studiums zu den sie bewegenden existentiellen Fragen hatte sie das Studium, nicht ohne innere Krisen, abgebrochen. Seither hielt Rut Bahlsen ihr intuitiv metaphysisch kalt und einseitig rational von sich selbst eingenommen erscheinende Personen auf Distanz. Diese ihre Einstellung galt auch Heidegger (26.09.1889 bis 26.05.1976), den sie anhörte und las, ob seiner schwer verständlichen Sprache als „arrogant“ bezeichnete. Sein Verkennen des Nationalsozialismus ließ sie an der Fruchtbarkeit seiner Philosophie zweifeln.
Spirituell verbunden
Rut, aufgewachsen in einer baptistischen Familie in Hudiksvall (Schweden), ihr Vater war Laien-Prediger, gewann die innere Einsicht und Überzeugung, dass die organisierten Formen der Konfessionen die Menschen in theologischen Vorstellungen festhielten. Obwohl vielen Menschen mentale Hilfe und Trost, bewiesen ihr die Ichbezogenheit und Machtbegierde auf allen Ebenen, zwischen Individuen und Gruppen, die Unfruchtbarkeit dieser Formen von Religion. Sie litt unter der seelischen Beziehungslosigkeit und psychischen Genügsamkeit der „toten Mäuse“.
Von Kindheit an der Botschaft des Neuen Testaments eng verbunden, gewann sie die Überzeugung, dass Jesus von Nazareth missverstanden worden sei. Die Lebensgeschichten von Mystikern aller Zeitepochen und auch Kulturkreise, häufig abgewiesen oder verfolgt von Wächtern religiöser Institutionen, bestätigten sie. Der Dialog mit Nikunja bekräftigte bei Rut und Klaus auf besonders eindrückliche Weise die ihnen auf ihrem Lebensweg gewachsenen Einsichten.
Kern aller Religiosität
Nikunja arbeitete an seinem Buch „Concerning Human Understanding“ (1958), einer Sammlung von Essays, als Grundlage für das Studium der Philosophie bis heute immer wieder aufgelegt. Die Stille im Haus Sonnenstein, Spaziergänge auf dem Feldweg mit freiem Blick über Filz, Obersee und Gebirge zu verschiedenen Tageszeiten in wechselndem Licht, bildeten den nicht unwesentlichen Rahmen des dialogischen Austausches in der Zeit des Zusammenseins und darüber hinaus.
Rut war überzeugt von Jesu Aufforderung seinem konkret gelebten Beispiel zu folgen. Seine Botschaft ließ er sich selbst verkünden durch sein Leben. Die Fähigkeit zu einer das Ego verzehrenden Haltung, eben die spirituelle Liebesfähigkeit, waren ihr Gottesbeweis. Das Beispiel Jesu wurde aber nicht verstanden als Beispiel zur Nachfolge, sondern zu einem System von Lehren. Sie wurden verbunden mit Faktoren der Macht und selbstbezogener Interessen. Diese Einsichten von Rut finden sich in dem oben erwähnten in Uffing ausgearbeiteten Buch von Nikunja wieder („Religion within the bounds of practical reason“).
Nikunja berief sich auf die Fähigkeit des Menschen sich einzulassen auf den Mitmenschen, das eigene Selbst aufgehen zu lassen im Selbst der anderen, verwirklicht im täglichen Umgang miteinander. Er sah darin, wesenhaft zu sein füreinander, die Quelle von Lebensfreude und den Lebenssinn. Nikunja ergänzte Rut in der historisch erklärenden Auffassung, dass die römische Zivilisation aufgebaut war und weiter wirkt durch Macht und Gesetz. In der Begegnung mit dem Prinzip der Liebe von Jesus wurde die Ethik seiner Bergpredigt adoptiert von einem System von Dogmen und entwickelt zu einer Institution. Es entstand ein rationales und imperiales Instrument, die «Kirche“ Ihre Konstitution und Vorschriften löschten den Geist und damit die Gesinnung der Bergpredigt aus.
Das Göttliche ist nicht für spirituell Ängstliche
In täglichen schriftlichen Meditationen über viele Jahre, in der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrt, in Auszügen veröffentlicht, hat Rut ihre Erlebnisse in spirituellem Sinn interpretiert. In ihrer Ausrichtung auf das Metaphysische bei sowohl Rut Bahlsen als auch Nikunja Banerjee ist ihre Übereinstimmung nicht verwunderlich. So hatte Rut beispielsweise auf die Notwenigkeit einer auf das Schöpferische und Spirituelle hin ausgerichteten Erziehung und auch Schule hingewiesen, Nikunja im gleichen Sinn zu diesem Thema ein Buch geschrieben.
Bewusst trug Nikunja 1957 ins Gästebuch im Hause Bahlsen die Aussage der Mundaka Upanishad (ein alter vedischer Sanskrit-Text) ein: „The Atman cannot be won by the spiritually timid“, gemünzt auf Bahlsens eindeutige Ausrichtung (siehe Titel dieses Abschnitts „Das Göttliche ...“). Nikunjas philosophisches Wirken ist verankert in Indiens tradierten Weisheiten. Die grosse Spannweite seines Denkens geht schon aus den Titeln seiner mehr als dutzend Bücher hervor: Über den Weg zu dauerhaftem Frieden, das Verhältnis zwischen Buddhismus und Marxismus, vor allem über die Idee und Grundlagen von Philosophie (1968). Er stellte die Frage, ob die Welt philosophisch interpretiert werden könne. Das Werk über die Spiritualität in der indischen Philosophie (1975), die Schrift „Glimpses of Indian Wisdom“ (1971), und zur Zukunft der Religion (1981) unterstreichen seine eigene Spiritualität. Von daher auch sein Zugang unter anderen zum deutschen Philosophen Kant.
Nikunja verstand die ihm begegnende Philosophie von ihrem spirituellen Gehalt her und entwickelte von daher seine eigene Philosophie. („The Philosophy of Nikunja Vihari Banerjee“, herausgegeben von Margret Chatterjee, 1990). Im Nachruf (Indian Philosophical Quarterly, 1981) wird Banerjee als „eminent“ bezeichnet, unterstützend und ermutigend beschrieben. In meiner Erinnerung lebendig sind seine mitmenschliche Wärme in einfacher Gelassenheit und Bescheidenheit.
Reinhard Mook
In der Hoagart-Ausgabe Nr. 12, Seite 30/31, ist der Hoagart-Redaktion ein Namensfehler unterlaufen. Auf dem Foto neben Prof. Nikunja Vihari Banerjee (l) ist nicht Klaus Bahlsen sondern Prof. Martin Heidegger zu sehen (r) . Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.
(veröffentlicht in Hoagart 12 | Juli 2024, siehe unten, Seite 30)
Was denken Sie?
Schreiben Sie an die Redaktion!
Hinweis: Nach dem Absenden Ihres Kommentars erscheint hier eine kurze Versandmitteilung.